Rede von Bundesaußenminister Fischer vor dem deutschen Bundestag,
Berlin, 28.09.2005 -
Verlängerung des ISAF-Mandates in Afghanistan (Auszug)
Am 18. September haben in Afghanistan die ersten freien Parlamentswahlen seit In-Kraft-Treten der neuen Verfassung stattgefunden. Ich denke, das ist ein wichtiges Datum, das es hier in der Debatte festzuhalten gilt. Damit wird der so genannte Bonn-Prozess, der vor einigen Jahren auf dem Petersberg in Bonn begonnen hat, formal abgeschlossen; formal deswegen, weil damit der letzte Schritt nach den freien Präsidentschaftswahlen, nach den Erfolgen beim Wiederaufbau und der Stabilisierung der Sicherheit getan wurde. Selbstverständlich wird Afghanistan auch in Zukunft unserer Unterstützung bedürfen, und zwar in allen Bereichen, damit dieser Prozess weiter vorangehen kann. Es hat Wahlen zur Präsidentschaft und zum Parlament gegeben. Diese Wahlen wurden insgesamt positiv bewertet. An der Stabilisierung der Sicherheit wird weiter gearbeitet werden müssen. Diese Aufgabe wird aber gleichzeitig mehr und mehr auf afghanische Schultern übertragen werden. Deutschland war und ist bei der Polizeiausbildung führend. Es zeigt sich, dass der Beitrag der afghanischen Polizei und auch des afghanischen Militärs gemeinsam mit internationalen Einsatzkräften ein wesentlicher Beitrag zur Sicherheitsstabilisierung war. All das zeigt: Es hat sich wirklich rentiert, unter dem Dach der Vereinten Nationen zum Wiederaufbau beizutragen. Es hat sich moralisch rentiert, es hat sich aber auch politisch, ökonomisch und humanitär rentiert. Insofern möchte ich mich dem Dank des Verteidigungsministers an alle eingesetzten Kräfte anschließen. Ob es zivile oder militärische Kräfte waren: Sie haben viel riskiert. Sie haben es in unserem Namen getan. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken.Ich habe gesagt, dass noch viel zu tun ist, aber ein kurzer Blick zurück macht klar, was schon erreicht wurde. Eine Beendigung des Mandats zum jetzigen Zeitpunkt würde bedeuten, dass wieder dasselbe politische Umfeld entstehen würde, das den Bürgerkrieg hervorgebracht hat. [..] Die afghanische Tragödie über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg hätte es ohne den kommunistischen Putsch und ohne den Einmarsch der Roten Armee in dieser Form nicht gegeben. Ich denke, dass man sich von dieser historischen Verantwortung nicht freisprechen kann.Dieser Einsatz war und ist – ich denke, hierin sind sich alle Fraktionen im Hause, die diesen Einsatz unterstützt haben, einig – niemals Teil einer militärisch gestützten Außenpolitik, die auf nationalen Interessen begründet war. Das Ganze war vielmehr eine Anstrengung der Staatengemeinschaft nach jenem furchtbaren Verbrechen des 11. September, bei dem klar war, dass es von einer Terrorgruppe organisiert und ins Werk gesetzt wurde, die die Unterstützung der Taliban in Afghanistan gefunden hat, und dass diese Gefahr für den Weltfrieden nicht mehr hingenommen werden durfte und konnte. Deswegen hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die notwendigen Entscheidungen getroffen. Auf dieser Grundlage hat Deutschland seinen Anteil geleistet. Wir hatten in diesem Hause durchaus Skepsis zu überwinden, etwa den Einsatz des Instruments der so genannten Provincial Reconstruction Teams betreffend.Ich verstehe zwar diese Einwände; sie haben sich aber – Gott sei Dank, füge ich hinzu – im Lichte der Realität als nicht belastbar erwiesen. Insofern können wir feststellen, dass sich gerade die deutsche Herangehensweise, nicht nur militärische Teams in die Region zu entsenden, sondern einen breiteren Ansatz des Wiederaufbaus – das heißt die Koordination von Militär, ziviler Wiederaufbauhilfe und allen anderen Bereichen, ob Erziehung, Polizei oder was auch immer – zu wählen, letztendlich doch bewährt hat.Heute können wir feststellen, dass das neue Mandat auf diese Grundtatsache eingeht, nämlich erstens, dass der Bonn-Prozess zum Ende gekommen ist. Zweitens – diese Debatte hat gerade in unserer Fraktion eine Rolle gespielt; insofern möchte ich das hier noch einmal aufgreifen – sind die Ausdehnung des Mandats und die Aufstockung der Truppen nicht Ausdruck einer Krise, sondern des genauen Gegenteils. Dass in Afghanistan so genannte Regionalkommandos unter Führung jeweils einer Nation gebildet werden, wobei Deutschland den Norden Afghanistans übernimmt, ist darin begründet, dass Großbritannien sein bisheriges Team in den Süden entsendet und dort Verantwortung übernimmt, sodass es im Raum Kandahar mehr Stabilität gibt. Italien wird die Verantwortung im Westen – im Raum Herat – und Deutschland diese im Norden übernehmen. Der Osten gibt nach wie vor Anlass zur Besorgnis.Darum möchte ich nicht herumreden. Er wird deswegen aus guten Gründen von den USA übernommen werden. Mehr regionale Flexibilität ist notwendig – auch das ist eine Erfahrung aus dem Kosovo –, um mit den vorhandenen Kräften unmittelbar auf eine Krise reagieren zu können. Ein solcher Einsatz kann schlicht und einfach nur ohne nationale Vorbehalte mit der nötigen Flexibilität durchgeführt werden.Ich hoffe, dass das, was wir in den vergangenen Jahren gezeigt haben, auch für die kommenden Jahre stilbildend bleibt, nämlich dass der Bundesverteidigungsminister wie auch die Bundesregierung insgesamt weder mit Obergrenzen noch mit Einsatzkompetenzen, die das Mandat umfasste, jemals extensiv umgegangen sind, sondern immer auf der Grundlage der zeitnahen Information des Parlaments und mit der gebotenen Zurückhaltung; übrigens auch im Interesse der Zusammenarbeit dieser beiden Verfassungsinstitutionen und der notwendigen Unterstützung der Soldatinnen und Soldaten, die schließlich im Einsatz viel riskieren. Die Bundesregierung hat bereits eine entsprechende Zusage gegeben. Das sind die wesentlichen Punkte, auf diees von politischer Seite ankommt.Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat am 13. September eine entsprechende Verlängerung des Mandats beschlossen; das heißt, wir werden es jetzt – im Übrigen auf Bitte der afghanischen Regierung – um weitere zwölf Monate verlängern. Die Stärkung der demokratischen Institutionen, die Verbesserung des Schutzes der Menschenrechte, die Armutsbekämpfung, die Modernisierung der Verwaltung, die Bekämpfung der Korruption und der Kampf gegen den Drogenanbau und den Drogenhandel werden – selbstverständlich gemeinsam mit der Stärkung der regionalen Zusammenarbeit, damit auch die regionalen Kriegsgründe beseitigt werden können – den jetzt beginnenden Post-Bonn-Prozess bestimmen.Drogenanbau und Drogenhandel spielen dabei eine große Rolle. Hierbei gibt es aber keine kurzfristigen Lösungen. Man sollte sich nichts vormachen: Überall dort, wo es gelang, dies erfolgreich zurückzudrängen, gelang dies nur mit langem Atem und vor allen Dingen durch den Einsatz und den Aufbau ökonomischer Alternativen für die Landbevölkerung. Das ist von entscheidender Bedeutung. Hinzu kommt eine wirksame Antikorruptionsstrategie, das heißt wirksame Polizeiarbeit und der notwendige politische Druck, damit eventuelle politische Verflechtungen aufgedeckt und entsprechende Konsequenzen gezogen werden können. Das alles ist in das Mandat eingeflossen.Gleichzeitig haben wir auf Bitte der Fraktionen die Protokollerklärung in das Mandat aufgenommen. Lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Ich denke, dass wir hier ein Mandat haben, das den Herausforderungen des Post-Bonn-Prozesses gerecht wird, dass Afghanistan weiterhin unsere Unterstützung braucht und dass gleichzeitig die eingesetzten Soldatinnen und Soldaten, aber auch die zivilen Kräfte, die Polizisten, die hervorragende Arbeit leisten, und die Diplomaten Anspruch auf breite Unterstützung und Anerkennung für ihre gefährliche Arbeit haben. Deswegen bitte ich Sie im Namen der Bundesregierung um breite Unterstützung. Weil Sie, Herr Kollege Pflüger, es angesprochen haben, möchte ich mich ausdrücklich für die 36 Entscheidungen der CDU/CSU-Fraktion in den vergangenen Jahren recht herzlich bedanken. [...].Vielen Dank.
erschienen: Donnerstag 29.09.05